Gerade mal elf Jahre alt und schon Benzin im Blut – das ist Victoria Philipp aus Gipf-Oberfrick. Nachdem sie im vergangenen Jahr bei der «Vega Trofeo» ihre ersten Kart-Rennen in einer Meisterschaft gefahren ist, will sie in diesem Jahr bei den fünf Rennen zur Schweizer Meisterschaft voll durchstarten. Ohne die Unterstützung von Papa Christian und Mama Emmy wäre dies allerdings kaum möglich. Doch der Erfolg ist für sie eigentlich vorprogrammiert, schliesslich ist Victoria auch die römische Göttin des Sieges.
JÖRN KERCKHOFF
Wer Victoria zum ersten Mal sieht, der denkt bei der zierlichen Elfjährigen mit den feinen Gesichtszügen eher an eine Eisprinzessin als an eine Kart-Fahrerin, die mit bis zu 100 km/h über die Piste rast und sich mit anderen Fahrern duelliert. Und tatsächlich ist sie beides. Neben dem Kartsport gehört ihre Liebe auch dem Eiskunstlauf und auch noch dem Karate. Sport ist ihre grosse Leidenschaft, ganz oben steht bei ihr aber das Kartfahren.
«Das will ich auch»
Schuld daran ist Papa Christian, der vor einigen Jahren selbst hobbymässig Rennen fuhr. Als Victoria das mit acht Jahren sah, stand für sie fest: «Das will ich auch.» Und was sie sich in den Kopf gesetzt hat, zieht sie auch durch. Christian Phi-lipp besorgte einen zweiten Kart und fortan fuhren die beiden Rennen gegeneinander. Und offenbar dauerte es nicht lange, bis Christian Philipp seine Tochter nur noch von hinten sah. «Sie hat wirklich ein grosses Talent», so seine Einschätzung.
So fuhr die heute Elfjährige erstmal eine Weile sehr ambitioniert, aber noch rein privat. Im vergangenen Jahr kam dann der Entschluss bei den fünf Rennen der «Vega Trofeo» an den Start zu gehen. Im Schlussklassement belegte Victoria – einziges Mädchen im Fahrerfeld – den neunten Rang unter 17 Fahrern. Ein stolzes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass das Team Philipp da noch reines Privatteam war und die ganze Saison über immer wieder mit technischen Problemen zu kämpfen hatte. «Der Motor machte uns immer wieder Schwierigkeiten. Wenn er in einem Lauf am Wochenende funktionierte, gab er im anderen Lauf den Geist auf», blickt Christian Philipp, der als Chefmechaniker im Team agiert, zurück. Dazu kam, dass es für Victoria die erste Rennsaison war, viele andere Fahrer waren schon in ihrer zweiten Saison unterwegs. So gesehen sei der neunte Platz im Schlussklassement sehr gut, zumal Victoria einmal auf Platz drei landete und einmal sogar gewonnen hätte, wegen eines Frühstarts aber leider eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt bekam, die sie auf Platz fünf zurückwarf. Das ist Lehrgeld, das man einfach mal zahlen muss. Victoria nimmt es gelassen, schliesslich weiss sie, dass sie mit den anderen mithalten kann.
Fair, aber mit harten Bandagen
Und der Ehrgeiz der jungen Rennfahrerin ist gross. «Bei der Schweizer Meisterschaft will ich in diesem Jahr am Ende der Saison unter den besten fünf stehen», lautet Victorias ambitionierte Zielsetzung. Dabei wird die Konkurrenz nicht leichter. «Die Rennserie ist noch stärker als die Vega Trofeo», weiss Christian Philipp. Und auch, wenn die Rennen sehr fair abliefen, kämpften die Jungs im Feld schon mit harten Bandagen, wenn es auf der Strecke zum Zweikampf mit Victoria komme. Jungs verlieren eben nicht gerne gegen Mädchen, aber sie zollen ihrer Konkurrentin zumindest den verdienten Respekt, wenn sie das Nachsehen gegen Victoria haben.
Unterstützung durch ein professionelles Team
Am 17. April beginnt die Saison mit den ersten Rennen in Franciacorta (Italien). Dafür hat sich das Familienteam dem «Innovate Competition Team» angeschlossen. «Das Team ist professioneller aufgestellt und wir können sicher viel von dessen Erfahrung profitieren», ist Christian Philipp überzeugt. Er bleibt zwar Mechaniker für seine Tochter – Victoria schraubt übrigens auch selbst am Kart herum und bekommt so auch das technische Verständnis – aber von der Zusammenarbeit erhofft er sich schon einen Leistungssprung.
Seltsamerweise findet übrigens überhaupt nur ein Rennwochenende zur Schweizer Meisterschaft in der Schweiz statt, am 8. Oktober in Wohlen. Zweimal geht es nach Italien und zweimal nach Frankreich. «Die Schweiz ist eben ein kleines Land, da gibt es nicht so viele Rennstrecken» erklärt Christian Philipp das Phänomen.
Das bedeutet aber auch, dass der Aufwand enorm gross ist, damit Victoria ihren Lieblingssport betreiben kann – auch für ihre Eltern, die jedes Mal mit dabei sind. «Wir nehmen sie dann am Freitag schon immer aus der Schule, damit wir anreisen können», erzählt Papa Chris-tian. Dies sei mit der Schule abgesprochen und funktioniere auch nur, weil Victoria eine gute Schülerin sei. «Die Schule hat absolute Priorität. Sollten die Noten nicht stimmen, würden wir das so nicht machen.» Schliesslich seien die Chancen auf eine Karriere im Sport eher gering, schätzt Christian Philipp die Situation realistisch ein. Dies vermittle er auch so seiner Tochter, erzählt er. «Es gibt so viele Dinge, die dazwischenkommen können, ausserdem hängt eine Karriere im Sport, besonders im Rennsport, nicht allein vom Talent ab, sondern vom Geld, das jemand mitbringt, um weiter aufzusteigen», weiss Philipp.
Ein kosten- und zeitintensiver Sport
Und auch der Kartsport ist alles andere als billig und längst nicht jedes Kind hat die Möglichkeit, so einen Sport zu betreiben. Bevor die Saison zur «Vega Trofeo» begann, mussten die Philipps etwa 10 000 Franken in die Ausrüstung – Kart und Kleidung – investieren, eine Rennsaison koste dann mindestens weitere 20 000 Franken, erzählt Christian Philipp. Diese finanziellen Möglichkeiten habe natürlich längst nicht jede Familie, weiss er, dass sie sich schon in einer privilegierten Situation befinden. Ein paar kleinere Sponsoren gebe es, der grösste Teil des Geldes komme jedoch aus eigener Tasche.
Auch wenn die Aussichten auf einen grossen Erfolg im Motorsport eher gering sind, darf eine Elfjährige natürlich Träume haben. Und Victorias Traum lautet: «Ich will in die Formel Eins.» Eine klare Ansage, der sie im Moment vieles unterordnet. Der nächste Schritt könnte in ein paar Jahren der in die Formel Vier sein, aber damit es dazu kommt, müssten viele Faktoren zusammenkommen, erzählt Christian Philipp. Victoria ist das im Moment erst einmal egal, sie will Rennen fahren.
Für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler sei es natürlich cool, dass sie freitags oft an die Rennstrecken nach Frankreich und Italien fahren darf, anstatt im Klassenzimmer zu sitzen. «Da beneiden sie mich schon», erzählt Victoria. Es sei allerdings kein böser Neid, fügt sie an. «Sie fragen mich am Montag dann auch immer, wie die Rennen gelaufen sind.» Sogar die Lehrer erkundigten sich nach dem sportlichen Erfolg.
Grosser Aufwand für den Traumsport
Aber klar ist auch, dass Victoria viel Zeit in ihren Sport investiert – nicht nur ins Kartfahren, sondern auch ins Karate und das Eiskunstlaufen. Dafür muss sie auf oft freie Nachmittage, wie sie andere Kinder geniessen können, verzichten. Neben dem Training auf der Rennstrecke, in der Eishalle und auf der Karatematte kommt auch noch das Training im heimischen Fitnessraum dazu. Alle drei Sportarten leben von der Fitness. In dem Raum, den die Philipps für ihre Tochter eingerichtet haben, steht auch ein Rennsimulator, bei dessen Anblick jeder Mann sofort wieder zum kleinen Jungen wird. An dem holt sich Victoria das Gefühl für die Rennstrecke.
Viel Aufwand, aber offensichtlich macht Victoria dieses Leben zwischen Karate, Kart im Sommer und Eiskunstlauf im Winter bislang noch nichts aus. «Wir zwingen sie zu gar nichts», macht Christian Philipp deutlich. «Wenn sie mit etwas aufhören möchte, kann sie das jederzeit. Wir sind allerdings froh, dass sie mehrere Sachen macht. Sollte sie an einer davon die Lust verlieren, fällt sie nicht in ein Loch, weil sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen weiss, sondern hat immer noch andere Aktivitäten.»
Auch mit Kritik muss Familie Philipp umgehen
Dass Victorias sportliche Ambitionen von ihr selbst kommen, ist Christian Philipp wichtig zu betonen. Es gebe nämlich auch immer wieder mal Kritik von aussen, dass die Philipps ihre Tochter überfordern und zu den vielen sportlichen Aktivitäten drängen. «Das kommt vor allem von Leuten, die uns gar nicht kennen und es auch nicht beurteilen können», erklärt Christian Philipp. So gesehen müsse man nicht viel auf solche Äusserungen geben, aber natürlich sei es auch nicht schön, wenn man solche Dinge mitbekomme.
Ein Foto mit dem «Iceman»
Einen gehetzten Eindruck macht Victoria tatsächlich nicht. Ihr scheint das Leben, das sie lebt, zu gefallen. Auf die Schweizer Meisterschaft – der nächste Schritt auf dem Weg zur Erfüllung des Traums von der Formel Eins – freue sie sich sehr, erzählt Victoria. Einen ersten Kontakt in die Königsklasse des Motorsports hatte sie übrigens schon: An einem Wochenende traf sie auf der Kartstrecke in Wohlen zufällig auf Ex-Weltmeister Kimi Raikkonen, der mit seiner Familie in der Schweiz lebt, und machte ein Foto mit dem «Iceman». Okay, einen Startplatz in der Formel Eins hat sie damit noch nicht, aber man weiss ja nie. Für Victoria war diese Begegnung jedenfalls etwas ganz Besonderes und auch ein Kimi Raikkonen hat ja mal im Kart angefangen.