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In der Bobbahn von Peking gilt es, vier perfekte Läufe runterzubringen, um eventuell auf dem Podest zu landen. Foto: Michael Kuonen

«Nur dabei sein will ich nicht»: Anschieber Sandro Michel aus Gipf-Oberfrick schätzt die Chancen für das Schweizer Bob-Team ein

Eine der Olympiahoffnungen der Schweiz an den Spielen in Peking heisst Sandro Michel. Als Anschieber im Zweier- und Viererbob ist der 25-Jährige aus Gipf-Oberfrick in diesem Jahr erstmals bei Olympischen Spielen dabei. Am 14./15. Februar stehen die Fahrten im Zweierbob auf dem Programm, am 19./20. Februar folgt der Wettbewerb im grossen Bob. fricktal.info sprach vor dessen Abreise mit Sandro Michel über Ziele, Aberglaube und seine Meinung zu den Spielen in Peking.
INTERVIEW JÖRN KERCKHOFF

Herr Michel, Sie kommen gerade vom Training. Wie ist der Stand der Dinge? Haben Sie schon Lampenfieber vor Ihren ersten Olympischen Spielen?

Sandro Michel: Es lief ganz gut. Wir haben heute auf der Anschiebebahn in Filzbach trainiert. Ob ich Lampenfieber habe, ist aktuell schwer zu sagen. Nach der Verletzung, die ich mir beim vorletzten Weltcup der Saison in Winterberg zugezogen habe und wegen der ich das Heimrennen in St. Moritz verpasst habe, liegt mein Fokus im Moment auf der Reha. Da denke ich gerade noch gar nicht so viel an Olympia, obwohl die Wettbewerbe natürlich schon ganz nah sind.

Was für eine Verletzung war das? Sind die Spiele deswegen für Sie in Gefahr?

Sandro Michel: Es war ein Muskelfaserriss in der Wade. Ich hatte natürlich schon Sorge, dass ich womöglich nicht an den Spielen teilnehmen könnte, aber die Ärzte sind zuversichtlich, dass ich rechtzeitig fit bin. So, wie es bis jetzt mit der strengen Reha läuft, sollte es reichen, ich bin da sehr optimistisch.

Sie gehören zur Stammbesetzung Ihres Piloten Michi Vogt im Vierer, aber auch im Zweier sind Sie sein Anschieber. Werden Sie nach Ihrer Verletzung auch in Peking in beiden Klassen im Bob sitzen?

Sandro Michel: Das ist zumindest der Plan und ich hoffe, dass es auch so kommt. Ich bin zuversichtlich, dass ich in zwei Wochen meine Bestleistung abrufen kann.

Wie sieht der Zeitplan für Sie aus? Wann starten Sie nach Peking und müssen sie dort dann in Corona-Quarantäne?

Sandro Michel: Wir fliegen am 30. Januar nach Peking. Vorab müssen wir im Moment schon regelmässig PCR-Tests machen, bei der Ankunft in Peking dann auch. Bis das Testergebnis dort vorliegt, müssen wir in Quarantäne, wenn der Test negativ ausfällt, können wir uns frei bewegen. Das ganze Unternehmen macht auch nur Sinn, wenn alle geimpft sind, und das ist das gesamte Team.

Bei Olympischen Spielen gilt das Motto Dabeisein ist alles, aber haben Sie trotzdem auch die Medaillen im Blick?

Sandro Michel: Nur dabei sein will ich nicht. Wir haben uns im Team schon hohe Ziele gesteckt. Eine Medaille zu holen, wird extrem schwierig, aber ein Diplom, wollen wir sowohl im Zweier als auch im Vierer rausfahren. Das bedeutet, ein Platz unter den ersten acht. Aber natürlich träumt man auch ein wenig von einer Medaille.

Sandro Michel ist in Peking angekommen. Foto: Michael KuonenIm Weltcup haben sie in beiden Klassen jeweils Rang sieben im Schlussklassement belegt. Das müsste doch das Minimalziel sein?

Sandro Michel: So einfach kann man das nicht sagen. Es kommt auch auf die Bahn an. Die in Peking ist sehr schwierig, das konnten wir im Oktober bei Testfahrten schon feststellen. Ein Fehler an der falschen Stelle kostet da gleich richtig viel Zeit und man kann weit zurückfallen. Schlechter als Platz acht wollen wir nicht sein, aber wenn es so kommt, muss man auch damit umgehen können.

Gold scheint in beiden Klassen für den Deutschen Francesco Friedrich reserviert zu sein, oder?

Sandro Michel: Wenn man ehrlich ist, schon. Es wird extrem schwierig sein, ihn zu schlagen. Seine Dominanz in den vergangenen Jahren ist schon überragend. Aber es kann immer viel passieren in vier Läufen.

Sie sprechen es an, im Gegensatz zum Weltcup gibt es bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen jeweils vier statt zwei Wertungsläufe. Im ersten Lauf kann man sicher noch keine Medaille gewinnen, aber eventuell schon verlieren. Worauf kommt es an, um am Ende vorne mit dabei zu sein?

Sandro Michel: Das fängt am Start an. Man muss viermal eine gute Startzeit hinlegen und dann muss der Pilot an den Steuerseilen natürlich eine möglichst fehlerfreie Fahrt hinlegen. Ganz wichtig ist auch die Wahl der Kufen. Man kann eine gute Fahrt runterbringen, aber trotzdem viel Zeit verlieren, weil man die falschen Kufen für die jeweiligen Verhältnisse ausgewählt hat.

Sandro Michel (rechts) ist die Maschine, die das Boot von Steuermann Michi Vogt im Zweier- und Viererbob in Fahrt bringt. Foto: zVgFür die meisten Leute sind die Anschieber die Jungs, die am Start richtig Dampf machen und während der Fahrt Gewicht ins Boot bringen. Ist das so einfach, oder welche Aufgaben haben die Anschieber während der Fahrt?

Sandro Michel: Gerade im Zweier muss auch der Pilot mächtig anschieben, um den Bob in Fahrt zu bringen. Im Vierer können die Anschieber eher einen Piloten ausgleichen, der nicht ganz so schnellkräftig ist. Während der Fahrt kommt es für die Jungs hinten im Bob vor allem darauf an, eine aerodynamische Haltung einzunehmen, was gar nicht so einfach ist, weil so ein Bob ganz schön eng ist. Speziell auf den Geraden müssen wir uns sehr ruhig verhalten, damit der Bob stabil bleibt und nicht quersteht.

Ein anderes Thema. Sportler sind ja gerne mal abergläubisch. Haben Sie am Tag des Rennens besondere Rituale oder haben Sie Talismane dabei?

Sandro Michel: Für sonderlich abergläubisch halte ich mich eigentlich nicht. Ich trage zwar bei den Rennen immer dieselben Kompressionssocken. Ich hatte sie aber auch schon mal vergessen und es lief trotzdem gut. Ansonsten habe ich immer einen Talisman in meiner Kabine, den mir meine Freundin geschenkt hat.

Darf man erfahren, was das für ein Talisman ist?

Sandro Michel: Ein kleines Plüschtier.

Ihre Freundin wird wohl nicht dabei sein, oder?

Sandro Michel: Nein, leider nicht. Es sind ja kaum Zuschauer zugelassen und wenn, dann sind es nur Einheimische. Da sind wir auch gespannt, wie die Stimmung bei den Wettbewerben ist. China ist ja nicht gerade eine grosse Bobfahrer-Nation.

Apropos grosse Bobfahrer-Nation. Im Film Cool-Runnings, der von den Olympischen Spielen 1988 in Calgary handelt, sind die Schweizer Bobpiloten die grossen Vorbilder für das Team aus Jamaika. Haben Sie auch ein solches Vorbild, oder besinnen Sie sich im Team eher auf die eigenen Stärken?

Sandro Michel: Ja, ich kenne den Film. Damals war die Schweiz eine der führenden Nationen im Bobsport. Heute ist man natürlich beeindruckt von der Dominanz, die Francesco Friedrich seit Jahren zeigt. Abschauen kann man sich da eh nichts! Allein schon, weil er einen ganz besonderen Bob zur Verfügung hat und auch ganz andere Kufen fährt als wir. Deswegen konzentrieren wir uns auf unser Team, unsere Möglichkeiten und unsere Stärken.

Einige Piloten haben ja selbst mal als Anschieber angefangen. Können Sie sich auch vorstellen, irgendwann an den Lenkseilen zu sitzen?

Sandro Michel: Solche Fälle gibt es, aber ich denke nicht, dass das für mich in Frage kommt. Der Aufwand eines Piloten ist nochmal deutlich grösser. Er muss sich zum Beispiel um die Sponsoren, die Zusammenstellung des Teams und noch mehr kümmern. Bis vergangenen Herbst habe ich ja noch studiert und versuche jetzt neben dem Sport erste Berufserfahrungen zu sammeln. Da habe ich gar nicht die Zeit, so einen Aufwand zu betreiben und ich weiss auch nicht, ob ich das notwendige Talent hätte. Ich bin mit meiner Rolle als Anschieber sehr zufrieden.

Diese Olympischen Spiele sind besondere. Zum einen wegen der Corona-Pandemie, zum anderen natürlich auch wegen der Situation in China. Macht man sich da als Sportler Gedanken drüber, oder versucht man, das wegzuschieben und sich auf den Sport zu konzentrieren?

Sandro Michel: Man versucht das schon zu trennen. Als Sportler bereitet man sich vier Jahre auf dieses Ereignis vor. Man weiss nie, ob man nochmal die Chance haben wird, an Olympischen Spielen teilzunehmen. Deswegen wird wohl jeder Sportler daran teilnehmen, wenn er die Möglichkeit hat, solange kein Boykott beschlossen wird. Ich finde es auch nicht ideal, dass Olympische Spiele in Peking oder eine Fussball-WM in Katar stattfinden. Die Entscheidungen über die Austragungsorte werden von anderen Stellen getroffen. Wir Sportler werden da nicht gefragt. In vier Jahren werden die Spiele in Italien stattfinden. Da wird es solche Diskussionen hoffentlich nicht geben und der Fokus der Medien wird auch im Vorfeld mehr auf dem Sport liegen.

Als Deutscher bin ich auch ein wenig Patriot, aber wie klingt für Sie: Gold für Francesco Friedrich und Silber für das Team Vogt mit Sandro Michel?

Sandro Michel: Das würde mir genauso gefallen und dafür würde ich gerade unterschreiben!

Bilder: In der Bobbahn von Peking gilt es, vier perfekte Läufe runterzubringen, um eventuell auf dem Podest zu landen.
Sandro Michel ist in Peking angekommen. Fotos: Michael Kuonen
Sandro Michel (rechts) ist die Maschine, die das Boot von Steuermann Michi Vogt im Zweier- und Viererbob in Fahrt bringt. Foto: zVg