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Dirigent Akira Tachikawa in seinem Element. Foto: zVg
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Buddhistischer Kirchenchor-Dirgent: Akira Tachikawa dirigiert unter anderem den Gospelchor der ref. Kirchgemeinde Region Rheinfelden

Akira Tachikawa ist ausgebildeter Countertenor und Chorleiter. Er dirigiert mehrere Chöre in der Nordwestschweiz, darunter den Gospelchor der reformierten Kirchgemeinde Region Rheinfelden.

ANDREAS FISCHER *

Auf dem Tisch stehen zwei traditionelle japanische Tassen. Akira Tachikawa serviert Adzuki-Bohnen-Tee aus seiner Heimat. Aufgewachsen ist er in Shizuoka, einer grossen Stadt in der Nähe des Fuji, Japans heiligem Berg. Sein Vater war Zahnarzt, die Mutter Hausfrau, „und ausserdem“, fügt Tachikawa hinzu, „lehrte sie in Kursen, wie man Kimonos anzieht“. Als ihn der Schreibende erstaunt anschaut, erklärt Tachikawa, es sei nicht ganz einfach, sich dieses traditionelle japanische Kleidungstück anzulegen.

Auch die beiden älteren Geschwister von Akira Tachikawa sind Zahnärzte. „Nur ich habe einen anderen Weg gewählt“, sagt er. Der Kinderchor, in dem er einst mitsang, unternahm einmal eine Reise nach Bulgarien. „In beiden Ländern gibt es eine lange Chor-Tradition, und der Kinderchor des Bulgarischen Nationalen Rundfunks ist seit 1970 offiziell Partnerchor des Shizuoka-Kinderchors.“ Die beiden Chöre, sagt Tachikawa, seien so etwas wie Geschwister. An Ostern traten sie gemeinsam in einem Gottesdienst in einer orthodoxen Kirche auf. „Da gab es keine Orgel, alles wurde a cappella gesungen, auch der Priester zelebrierte die Liturgie singend“, erinnert er sich, „das war ergreifend.“

«Wie wird man Musiker?»
Auf dem Rückflug fragte er die Dirigentin: „Wie wird man Musiker?“ Das war 1974, Tachikawa war damals zwölf Jahre alt. „Du musst lernen, Klavier zu spielen“, lautete die ernüchternde Antwort. Denn der Junge wollte singen. Doch um ins Konservatorium aufgenommen zu werden, brauchte er zumindest Grundkenntnisse im Klavierspiel. Also nahm er Klavierstunden, später dann, mit fünfzehn, auch Gesangsstunden. Mit achtzehn begann er das Studium.

Tachikawa ist ausgebildeter Countertenor, also ein männlicher Sänger, der in der üblicherweise weiblichen Alt-Stimmlage singt. Bei Chorproben singt er, für die Zuhörenden beeindruckend, alle Stimmlagen, vom Bass bis zum Sopran, in der authentischen Tonhöhe, also ohne zu oktavieren. Wie er auf die Idee gekommen sei, Countertenor zu werden? „Beim Einsingen“, antwortet Tachikawa, „bemerkte die Lehrerin, dass ich mit der Kopfstimme tief hinunter komme, in Bereiche, wo andere schon lange in die Bruststimme wechseln. Deshalb empfahl sie mir, es als Countertenor zu versuchen.“ Just in jener Zeit seien diese Stimmen wieder populär geworden, nachdem sie im 19. und im frühen 20. Jahrhundert bedeutungslos waren.

Das Repertoire für Countertenöre ist wesentlich auf die Alte Musik – europäische Musik aus den Epochen vom Mittelalter bis in die Barockzeit – begrenzt. Deshalb setzte Tachikawa seine Studien an der Schola Cantorum Basilensis fort, der Hochschule für Alte Musik in Basel. Der renommierte Countertenor und Schola-Dozent René Jacobs hatte ihn anlässlich eines Kurses in Japan selber dazu eingeladen.

1985 unternahm der Sofia-Kinderchor eine Konzertreise nach Japan. Dort lernte Tachikawa die damals noch ganz junge Bulgarin Irina Zlatkova Petrova kennen. Die wunderbar romantische Liebesgeschichte, die aus dieser Begegnung erwuchs, erzählt er mit asiatisch anmutender Förmlichkeit: „Wir blieben über sieben Jahre in Briefkontakt. 1992 – ich lebte inzwischen schon lange in Basel – reiste ich nach Sofia. Dort sahen wir uns wieder. Ein Jahr später heirateten wir.“

Zwei Kinder kamen zur Welt, der Sohn heisst Mario, die Tochter Monika; „die Namen lassen sich mit den Kanji, den japanisch-chinesischen Schriftzeichen schreiben“. Irina, die heute auch Tachikawa heisst, gehört der orthodoxen Kirche an, Akira Tachikawa selber ist Buddhist, wobei sich der Buddhismus bei ihm wie bei vielen seiner Landsleute mit dem Shintoismus, der ethnischen Religion Japans verbindet. Tachikawa geht zur Tür, holt aus einem kleinen Shinto-Schrein einen Talisman. „Er beschützt unser Haus“, sagt er lächelnd.

Buddhist komponiert lateinische Messe
Derzeit studiert Tachikawa mit einem Projektchor eine von ihm selber geschriebene Messe, die „missa in d“ ein. Wie er als Buddhist dazu komme, eine Messe zu komponieren? Er habe in seiner Laufbahn viele lateinische Messen gesungen, antwortet Tachikawa. Ob ihn das, was er singt, auch berührt? „Ja, vermittelt durch die Musik berührt es mich sehr, ich habe grossen Respekt vor dem christlichen Glauben.“.

Die „missa in d“ ist nicht atonal – „ich wollte keine moderne Musik machen“, sagt Tachikawa –, doch die Takte, 5/8-, 6/8-, 7/8-, 5/4-, dazwischen zur Abwechslung auch mal ein 4/4-Takt, mit raschen Wechseln zwischen den Taktarten, sind für westliche Ohren ungewöhnlich. Ob das typisch japanisch sei? „Nein“, sagt Tachikawa lachend, „das sind Balkan-Rhythmen“. Er habe viel bulgarische Chormusik gesungen, von dorther stamme dieser Einfluss.

„Als Jugendlicher dachte ich, ich bin nicht begabt fürs Komponieren. Manchmal kreierte ich im Kopf eine Melodie, um dann feststellen zu müssen, dass es eine bekannte Melodie ist, an die ich mich einfach erinnerte.“ Doch dann fing er an, für den A-Cappella Chor „Vocappella Wettingen“, den er dirigiert, Arrangements zu schreiben. Und irgendwann beschloss er, es doch mit einer Komposition zu versuchen. „Einmal leitete ich die Misa Criolla, eine südamerikanische Messe mit traditionellen Instrumenten aus den Anden. Da dachte ich: Ah, man darf das, eine Messe komponieren, die ganz anders klingt als die Messen von Bach und Mozart! Und dann habe ich eine eigene Messe geschrieben, mit diesen untypischen Takten.“

«Schulter an Schulter singen»
Auch für einen anderen Chor, den er dirigiert, das japanische Frauenensemble „Nadeshiko Basel“, hat Tachikawa eine Komposition geschrieben; es ist ein Lied, auch der Text stammt von ihm. Auf Deutsch heisst der Titel: „Schulter an Schulter singen“. „Es ist während Corona entstanden“, erzählt Tachikawa. „Es war eine schwierige Zeit. Kurz zuvor waren meine beiden Eltern gestorben, zuerst die Mutter, fünf Wochen später der Vater. Während Corona konnte ich meinen Beruf nicht ausüben. Unserer Tochter ging es seelisch schlecht. Ja, da spürte ich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass es einem gut geht. Umso grösser war die Dankbarkeit, als wir endlich wieder singen konnten, gemeinsam, eben: ‚Schulter an Schulter‘.“

Von Japan vermisst Tachikawa am meisten das Essen. Ausserdem fühle es sich traurig an, dass nun, nach dem Tod von Mutter und Vater, sein Elternhaus abgerissen worden sei. Früher habe er sich in der Schweiz, mit der fremden Sprache, der anderen Kultur, manchmal einsam gefühlt. Doch er wollte hier bleiben. Er wollte in Kirchen singen, geistliche Musik. Dafür gebe es in Japan kaum Möglichkeiten.

Auch für seine Frau sei die Ankunft in der Schweiz einst nicht ganz einfach gewesen. „In Sofia studierte sie Ökonomie und arbeitete beim Radio. Hier musste sie ganz neu anfangen.“ Sie absolvierte eine Lehre als Fachfrau Gesundheit und arbeitet heute in einem Alterszentrum. Anders als Akira spricht sie perfekt Schweizerdeutsch. Er komme nicht so viel zum Sprechen, seine Inkulturation sei über die Musik gelaufen, sagt Tachikawa lachend. Inzwischen habe er für seine Chöre auch schon Mani Matter-Lieder arrangiert.

Konzert in Magden
Am Freitag, 5. Mai um 19.45 Uhr findet im Kirchgemeindehaus „Gässli“ in Magden das Konzert „Sakura (Kirschblüte) und missa in d“ statt, mit dem japanischen Frauenensemble „Nadeshiko Basel“ sowie einem Projektchor, beide dirigiert von Akira Tachikawa.

* Andreas Fischer ist Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Region Rheinfelden und Mitglied des Projektchors, der derzeit die „missa in d“ von und mit Akira Tachikawa einstudiert.

Bild: Dirigent Akira Tachikawa in seinem Element. Foto: zVg