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«Wir gehen von weiter sinkenden Zahlen aus» -  Nikolaus Güntert, RAV-Leiter in Rheinfelden, über die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt

«Wir gehen von weiter sinkenden Zahlen aus» - Nikolaus Güntert, RAV-Leiter in Rheinfelden, über die aktuelle Lage auf dem Arbeitsmarkt

Die Arbeitslosenquote liegt im Kanton Aargau mit zurzeit 3,1 Prozent auf verhältnismässig tiefem Niveau. Wie sieht die Lage für Stellensuchende momentan aus? Hat die Corona-Pandemie Spuren hinterlassen? Und wie entwickelt sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter? fricktal.info hat mit Nikolaus Güntert, Leiter des Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) in Rheinfelden, über diese und andere Themen rund um den Stellenmarkt gesprochen.
INTERVIEW: SONJA FASLER HÜBNER

Laut neusten Zahlen liegt die Arbeitslosenquote im Aargau bei 3,1 Prozent. Wie würden Sie die allgemeine Lage auf dem Stellenmarkt beurteilen?

Nikolaus Güntert: Bereits im vergangenen Jahr hatten wir wieder mehr offene Stellen, ein weiterhin positiv anhaltender Trend. Die Zahl der Stellensuchenden nimmt ab. Wir können zum Teil offene Stellen nicht besetzen, Stichwort Fachkräftemangel. Gerade in Branchen, wie zum Beispiel IT, Maschinenbau und Gesundheitswesen, ist der Bedarf höher, als wir abdecken können. Gesamthaft gesehen ist es also eine positive Entwicklung, und wir befinden uns zurzeit auf einem guten Stand. Man könnte sagen, wir sind aufs Ursprungslevel zurückgekehrt. Und wir gehen davon aus, dass die Zahlen weiter sinken werden.

Wie sieht es konkret im Fricktal aus?

Nikolaus Güntert: Das Fricktal liegt leicht unter kantonalem Durchschnitt. Ab der zweiten Jahreshälfte 2021 lagen die Zahlen tiefer als vor Corona. Auf der anderen Seite hat die Anzahl gemeldeter Stellen von 2020 zu 2021 markant zugenommen. Man kann also von einer deutlichen Erholung sprechen, wenn man bedenkt, dass Anfang 2021 ein Höchstwert der Arbeitslosenquote von rund 4 Prozent erreicht worden war. Um konkrete Zahlen zu nennen: Im Dezember 2021 lag die Zahl der Erwerbspersonen in den Bezirken Laufenburg und Rheinfelden zusammen bei 44 271, davon waren 1321, also 2,98 Prozent, als arbeitslos registriert.

Arbeitslose und Stellensuchende werden in der Statistik separat aufgeführt. Verzerrt das nicht die Zahl der effektiv arbeitslosen Personen?

Nikolaus Güntert: Die Zahl der Stellensuchenden umfasst alle beim RAV gemeldeten Personen. Dabei unterscheiden wir zwischen den effektiv Arbeitslosen, die stellenlos und sofort vermittelbar sind. Diese machen etwa 60 Prozent aus. Den anderen Teil machen die nicht-arbeitslosen Stellensuchenden aus, die nicht sofort vermittelbar sind, weil sie einem Zwischenverdienst nachgehen oder sich in einem Programm zur vorübergehenden Beschäftigung befinden. Letztere Gruppe ist nicht in der Arbeitslosenquote erfasst, weil die Personen effektiv einer Beschäftigung nachgehen, sich somit im Arbeitsprozess befinden und teilweise einen Lohn beziehen.

Seit bald zwei Jahren hat uns die Corona-Pandemie im Griff. Wie hat sich das auf das RAV und die Stellensuchenden ausgewirkt?

Nikolaus Güntert: Der erwähnte Höchststand von 4 Prozent Stellensuchenden Anfang 2021 war nicht einfach zu bewältigen. Man muss bedenken, dass es sich dabei um ein Drittel mehr handelt. Personal aufstocken geht nicht so schnell. Zudem sind Personalberater auf dem Stellenmarkt eher dünn gesät. Es ist also ein Abwägen: Lohnt es sich, für kurze Zeit mehr Personal einzustellen, oder macht man Abstriche bei den Beratungen. Als Entlastungsmassnahme erlaubte uns das SECO, die Zahl der Gespräche vorübergehend zu reduzieren. Inzwischen hat sich das wieder normalisiert.
Vor der Pandemie fanden alle Gespräche vor Ort statt. Wir mussten dann auf Online-Anmeldungen und ausschliesslich telefonische Aufnahmen umstellen. Kurze Zeit war das RAV für Publikumsverkehr vor Ort komplett geschlossen. Bei der Online-Anmeldung sind wir geblieben. Das Erstgespräch mit dem Personalberater findet aber wieder vor Ort im RAV statt. Das macht ein Kennenlernen einfacher. Es geht aber auch um die Identitätsüberprüfung. Alles online zu machen, wäre so gesehen heikel. Weitere Gespräche finden aufgrund der aktuellen Lage wieder telefonisch statt. Aktuell läuft ein Pilotversuch mit Videotelefonie. Erste Erfahrungen damit sind positiv. Falls das SECO grünes Licht dazu gibt, könnte dies ein Zukunftsmodell sein, denn Video-Gespräche schaffen mehr Verbindlichkeit als ein Telefongespräch und fördern das Verständnis auf beiden Seiten. Und es ist praxistauglich, da es einfach zu handhaben ist.

Gab es auch positive Auswirkungen, beispielsweise bei Abläufen?

Nikolaus Güntert: Aus einer Krise soll man lernen und das Positive in die Zukunft mitnehmen. Die Videogespräche gehören sicher dazu. Sie stellen eine gute Alternative zum Telefongespräch dar und bewahren uns vor einem Qualitätsverlust bei den Beratungen. Wir sind flexibler geworden, die IT-Affinität ist gestiegen und wir könnten fast alles vom Homeoffice aus abwickeln, falls sich die Pandemie wieder verstärken würde. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, werden unsere Personalberater auch nach der Pandemie zumindest für einen Tag pro Woche haben. Für die Stellensuchenden wurde es auch einfacher, uns Dokumente einzureichen, weil neu vieles auf elektronischem Weg möglich ist. Arbeitsmarktliche Massnahmen, unter anderem Standortbestimmungen oder Bewerbungstraining, sind jetzt zusätzlich per Video möglich. Und es sind viele digitale Kurse entstanden, die auch nach Corona weiter genutzt werden können. Ich bin positiv überrascht , wie gut diese neuen Massnahmen funktionieren und auch von den Stellensuchenden geschätzt sind.

Zurzeit finden aufgrund der Corona-Situation nur die Erstgespräche für Stellensuchende vor Ort im RAV Rheinfelden statt. Foto: Sonja Fasler HübnerWie sieht die Erreichbarkeit des RAV in Rheinfelden zurzeit aus?

Nikolaus Güntert: Die Erreichbarkeit war auch während des Lockdowns telefonisch oder per E-Mail jederzeit gewährleistet. Seither ist der Empfang vor Ort wieder offen. Neuerungen werden laufend auf der Homepage veröffentlicht.

Seit 2018 gibt es die Stellenmeldepflicht. Hat sie sich bewährt?

Nikolaus Güntert: Zurzeit sind rund 40 Berufsarten betroffen, unter anderem Hotellerie/Empfang, Verkauf, Hilfskräfte ohne Ausbildung usw. Die Anzahl meldepflichtiger Berufsarten hat sich 2022 nochmals leicht erhöht. Arbeitgeber können neu auch selber unter arbeit.swiss nach gewünschten Tätigkeitsprofilen bzw. Berufen suchen und so geeignete Kandidaten für ihre offenen Stellen finden. Die Anonymität der Stellensuchenden ist dabei gewährleistet. Wir können immer wieder Vermittlungen realisieren, verfügen aber selbstverständlich nicht in jedem Fall über passende Kandidaten.

Wer ist im Moment am meisten von Arbeitslosigkeit betroffen?

Nikolaus Güntert: Im Bereich Hilfskräfte ohne Ausbildung, Reinigungspersonal und Hilfskräfte in Büros oder Hotels, Verkaufsangestellte, Fachkräfte und Führungskräfte im Bereich Marketing/Werbung gibt es eine vergleichsweise hohe Anzahl an arbeitslosen Personen. Bei den Jugendlichen ging die Zahl der Stellensuchenden wieder auf Vor-Corona-Niveau zurück. Am schwersten haben es nach wie vor die 50- bis 64-Jährigen.

Wie kann das RAV da konkret helfen?

Nikolaus Güntert: Es bestehen unterschiedliche, interessante und wirkungsvolle Angebote im Kanton Aargau. Seit diesem Jahr läuft ein Impulsprogramm des Bundes. Eine Massnahme davon sind Integrationsberater bei den RAV. Sie kümmern sich um die Dossiers von Personen, die über 50 Jahre alt sind, keinen Berufsabschluss haben und seit mindestens sechs Monaten arbeitslos sind. Sie können die Betreffenden intensiver und umfassender beraten und eine umfassende Standortbestimmung durchführen. Wenn das dreijährige Pilotprojekt abgeschlossen ist, wird anhand der effektiven Fälle Bilanz gezogen. Eine weitere Massnahme des Bundes ist das «Supported Employment», welches seit Mitte 2021 läuft und durch externe Coaches betreut wird. Eine Begleitung der über 50-Jährigen ist da sogar über die Aussteuerung hinaus möglich. Wir empfehlen die Programme, zwingen wollen wir niemanden. Es geht darum, Leute, die motiviert sind, wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Darüber hinaus gibt es im Rahmen der üblichen arbeitsmarktlichen Massnahmen schon seit längerem Jobcoaching oder Mentoring, die immer wieder Erfolge bringen.

Was können die Stellensuchenden selbst dazu beitragen, um wieder eine Arbeitsstelle zu finden?

Nikolaus Güntert: Es sollte die Bereitschaft da sein, die eigene Situation zu reflektieren und den Suchradius gegebenenfalls zu erweitern. Stellensuchende sollten offen sein für alternative Lösungen sowie Geduld und Hartnäckigkeit mitbringen. Wichtig ist es auch, ein Bewerbungsschreiben mit Bezug zur entsprechenden Stelle zu formulieren und nicht einfach ein Standardschreiben zu schicken. Der Lebenslauf sollte aktuell gehalten und mit einem guten Foto versehen sein. Man sollte sich selbst realistisch einschätzen und zusammen mit dem Personalberater Bewerbungsstrategien entwickeln. Ich empfehle, entsprechende IT-Plattformen und die spezifischen Angebote des RAV, welche allen Stellensuchenden zustehen, zu nutzen (u.a. eigenes Suchprofil) und persönliche Beziehungen zu aktivieren. Man sollte offen sein für Neues, bereit sein, sich weiterzubilden und entsprechende Kurse besuchen. Das RAV unterstützt weiter mit Vermittlungsvorschlägen.

Wie sehen Sie die Lage auf dem Arbeitsmarkt mit Blick auf die Zukunft?

Nikolaus Güntert: Aktuell gehen die Arbeitslosenzahlen sukzessive zurück und wir haben weniger Neuanmeldungen – ein positiver Trend. Auch die Kurzarbeit hat wieder deutlich abgenommen. In seinen Prognosen geht das kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) von einer weiteren Entspannung aus. Wir richten unsere Ressourcen entsprechend aus.

Bilder:
- Nikolaus Güntert (52) leitet seit rund fünf Jahren das RAV in Rheinfelden.
- Zurzeit finden aufgrund der Corona-Situation nur die Erstgespräche für Stellensuchende vor Ort im RAV Rheinfelden statt.
Fotos: Sonja Fasler Hübner