(eing.) Bibliothek und Archiv Aargau lädt zusammen mit dem Verein «Gesichter der Erinnerung» zu einer öffentlichen Diskussion über ein wichtiges Stück Schweizer Sozialgeschichte ein, das bis heute nachwirkt: fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Der Verein präsentiert seine Arbeit und gibt Betroffenen das Wort. Der Anlass findet am 25. November statt.
Es gibt in der Schweiz keine genaue Statistik darüber, wie viele Menschen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen wurden, wie sie bis 1981 gesetzlich möglich waren. Historikerinnen und Historiker gehen von mehreren 100 000 Betroffenen aus. Menschen wurden ihrem Umfeld entrissen, in Heime gesteckt oder als günstige Arbeitskräfte ausgebeutet. Viele von ihnen erlitten Gewalt und Missbrauch. Diese Erfahrungen wirken ein Leben lang nach – bis heute.
Unterstützung durch Opferberatung Aargau und Staatsarchiv
Mit rund zwanzig Einrichtungen weist der Aargau eine hohe Dichte an Heimen, Institutionen und Anstalten auf. Die Opferberatung Aargau und das Staatsarchiv beraten und unterstützen die Betroffenen bei der Beschaffung von Informationen und Daten zu ihrer Lebensgeschichte. Nach Vorliegen der Stammdaten nimmt das Staatsarchiv Aargau auf Wunsch eine entsprechende Aktenrecherche im Kanton Aargau sowie gegebenenfalls in der ganzen Schweiz vor.
Seit 2017 können Opfer ein Gesuch für einen Solidaritätsbeitrag beim Bundesamt für Justiz einreichen. Bisher wurden rund 700 Gesuche aus dem Kanton Aargau mit Unterstützung der Opferberatung Aargau und des Staatsarchivs eingereicht. Schweizweit haben über 10 000 Personen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Für viele Opfer ist der Solidaritätsbeitrag jedoch zweitrangig: Sie möchten in erster Linie ihre eigene Vergangenheit aufarbeiten können.
Ein Verein und eine Online-Plattform gegen das Vergessen
Gemeinsam mit Filmschaffenden, Fachpersonen aus der Digitalisierung, der Kommunikation, der Geschichtsdidaktik sowie aus dem Archivbereich haben Betroffene zusammen mit Historikerinnen und Historiker die multimediale Onlineplattform www.gesichter-der-erinnerung.ch geschaffen. Diese wird vom Verein «Gesichter der Erinnerung» getragen. Seit Oktober 2022 sind die Erfahrungen von Betroffenen, Partnerinnen und Partnern, Kindern und Berufspersonen online zugänglich. Die Geschehnisse werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet, multimedial aufbereitet und in den historischen Kontext gestellt. Noch immer ist es für viele Betroffene nicht einfach, über das Erlebte zu sprechen. Die Menschen, die zu Wort kommen und ihr Gesicht zeigen, brauchen Mut.
Begleitveranstaltung in der Kantonsbibliothek
Um das Projekt zu präsentieren und um die öffentliche Debatte über diesen wichtigen Teil unserer Sozialgeschichte zu unterstützen, laden Bibliothek und Archiv Aargau zusammen mit dem Verein «Gesichter der Erinnerung» zu einer Podiumsveranstaltung am 25. November um 19 Uhr in der Aargauer Kantonsbibliothek ein. Es wird Gelegenheit gegeben, die Inhalte der Online-Plattform zu sehen und zu hören und ins Gespräch mit den Betroffenen Uschi Waser, Mario Delfino sowie mit der Historikerin Loretta Seglias zu kommen. Moderiert wird der Abend von Christian Winkler.