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Widderchen im Kanton Aargau – wo sind sie geblieben? – Es steht schlecht um die tagaktiven Nachtfalter im Kanton Aargau – ein Aktionsplan soll ihr Aussterben der verhindern

Rot- und Grünwidderchen sind Biotopspezialisten und auf magere, extensiv genutzte Lebensräume angewiesen. Weil sie zudem standorttreu und flugträge sind, lassen sie sich leicht nachweisen und sind hervorragende Indikatoren und Zielarten für Naturschutzprojekte. Allerdings steht es schlecht um die tagaktiven Nachtfalter im Kanton Aargau. Ein Aktionsplan soll ihr Aussterben verhindern.

FRANÇOISE SCHMIT UND ANDRÉ REY

Der Bestand der Widderchen nimmt in der ganzen Schweiz und auch im Kanton Aargau stark ab, obwohl sich die verbliebenen Mehrfarbiges Grünwidderchen. Foto André ReyVorkommen heute fast ausschliesslich in Naturschutzgebieten oder Biodiversitätsförderflächen (BFF) befinden. Die Gründe für den dramatischen Niedergang sind zum einen dieselben wie für viele andere Organismen: Die intensive Landnutzung mit Strukturverarmung, Düngung und häufige Mahd von Wiesen, aber auch die Forstwirtschaft mit verbreiteter Hoch- und Dauerwaldbewirtschaftung tragen dazu bei. Zum anderen machen Besonderheiten in der Larvalökologie die Widderchen besonders verletzlich gegenüber den gängigen Bewirtschaftungsmethoden, was massgeblich zu ihrem starken Rückgang beiträgt.

Im Kanton Aargau fliegen aktuell noch zwei Grün- und sechs Rotwidderchenarten von ursprünglich 15 heimischen Arten. Fünf der acht verbleibenden Arten kommen nur noch an einem Ort im Kanton vor – somit ist höchste Dringlichkeit für Fördermassnahmen geboten. Aus diesem Grund sind die Widderchen auch Handlungsarten im kantonalen Artenschutzkonzept (siehe Milan 4/21). Die Umsetzung von Schutz und Förderung läuft über einen kantonalen Aktionsplan, das Mittel der Wahl, um Massnahmen für die seltensten und gefährdetsten Arten im Aargau umzusetzen.

Wie der Name verrät, ernährt sich das Ampfer-Grünwidderchen (Adscita statices) bevorzugt von den Blättern des Wiesen-Sauerampfers. Foto: André ReyFarbige und giftige Tiere
Die Widderchen werden zu den Nachtfaltern gezählt, auch wenn alle in Mitteleuropa vorkommenden Arten tagaktiv sind. Die Falter erreichen Flügelspannweiten von 20 bis 30 Millimetern und haben einen langen, kräftig gebauten Körper. Die Grünwidderchen weisen grün-metallisch glänzende Flügel auf, die Rotwidderchen schwarze Flügel mit einer unterschiedlichen Anzahl an roten Flecken, von denen sich der Name Blutströpfchen ableitet. Alle heimischen Arten enthalten Blausäure, was sie für die meisten Fressfeinde ungeniessbar macht. Mit ihren Warnfarben signalisieren die Falter ihre Giftigkeit.

Biotop- und Nahrungsspezialisten
Die meisten Arten leben auf trockenen struktur- oder saumreichen Magerrasen, im lichten Wald oder vereinzelt auch in Flachmooren, wo sie oft in grösseren Gruppen auf lila oder violetten Blüten sitzen und Nektar saugen. Bevorzugt werden Witwenblumen, Tauben-Skabiosen, Flockenblumen und Disteln. Die Falter der meisten Arten fliegen im Hochsommer. Einige Arten haben jedoch eine aussergewöhnlich späte Flugzeit, welche sich bis weit in den August oder sogar in den September hineinzieht.
Die Raupen aller Widderchenarten sind Nahrungsspezialisten. Das heisst, dass sich die Raupen nur von einer einzigen Pflanzenart ernähren können. Bei den Rotwidderchen fressen die Raupen vorwiegend an verschiedenen Schmetterlingsblütlern wie Hornklee oder Saat-Esparsette, je eine Art frisst an Bibernelle und Thymian. Die Raupen der Grünwidderchen fressen häufig an Ampfer-, Flockenblumen- oder Distelarten. Entsprechend sind sie abhängig vom Vorkommen dieser sogenannten Wirtspflanzen.

Raupe des Bergkronwicken-Widderchens (Zygaena fausta) auf seiner Futterpflanze. Foto: André ReyBesondere Entwicklung
Während die Raupen der Rotwidderchen frei sitzend auf ihren Wirtspflanzen fressen, bohren sich die Raupen der Grünwidderchen durch die oberen Zellschichten und fressen direkt in den Blättern ihrer Wirtspflanzen. Diese Raupen leben also im Inneren der Wirtspflanze, in sogenannten Frassgängen.
Bis auf wenige Ausnahmen durchlaufen alle heimischen Rotwidderchenarten eine mehrjährige Entwicklung. Dabei machen die Raupen im Winter eine Entwicklungspause mit herabgesetztem Stoffwechsel. Sie stellen ihre Fressaktivität ein und gehen in einen «Winterschlaf», bei Wirbellosen Diapause genannt. Im Frühling fressen sie (wieder) an ihrer Wirtspflanze und aufgrund ihrer genetischen Disposition und der Witterung entscheidet sich, ob sie sich verpuppen und zum Falter entwickeln. Viele Raupen benötigen dazu bis zu vier Jahre. Speziell ist auch, dass die Diapause bei Individuen aus demselben Gelege unterschiedlich lange dauern kann.

Spezielle Gefährdungssituation der Widderchen
Diese Besonderheiten in der Entwicklung verschärften die Gefährdungssituation der Rot- und Grünwidderchen gegenüber anderen Tagfalterarten deutlich. Hier sind vor allem drei Faktoren entscheidend, welche bei der Bewirtschaftung und beim Unterhalt von Flächen berücksichtigt werden müssten, um den Schutz der Widderchen zu verbessern:
• Späte Flugzeit vieler Rotwidderchenarten: Bei den spätfliegenden Rotwidderchenarten führt eine Mahd kurz vor und während der Flugzeit (Anfang Juni bis Mitte August) zum Verschwinden der Arten. Dies betrifft im Kanton Aargau das Esparsetten-Widderchen (Zygaena carniolica), das Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta), das Hufeisenkleewidderchen (Zygaena transalpina) und das Kleine Fünffleckwidderchen (Zygaena viciae).

• Besondere Lebensweise der Grünwidderchen-Raupen: Bei den Grünwidderchen-Raupen führt eine Mahd zwischen Ende Mai und Mitte August aufgrund ihrer Lebensweise im Inneren der Wirtspflanzen nahezu zu einem Totalverlust. Dies betrifft im Kanton Aargau das Das Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta) ist in ganz Mitteleuropa sehr selten geworden. Foto: André ReyAmpfergrünwidderchen (Adscita statices) und das Skabiosengrünwidderchen (Jordanita notata).
• Mehrjährige Larvenentwicklung bei vielen Rotwidderchenarten: Bei den Rotwidderchen mit mehrfachen Raupenüberwinterungen führen häufige Traktorbefahrungen zu einer hohen Raupen-Mortalität und damit zum Verschwinden der Arten. Dies betrifft im Kanton Aargau das Beilfleckwidderchen (Zygaena loti), das Hufeisenkleewidderchen (Zygaena transalpina) und das Kleine Fünffleckwidderchen (Zygaena viciae).
Nicht gefährdet ist einzig das Gewöhnliche Widderchen (Zygaena filipendulae), welches noch häufig und weit verbreitet vorkommt. Da es nur einmal als Raupe überwintert, ist es deutlich weniger Gefahren ausgesetzt als die mehrjährigen Arten.

Aktionsplan Kanton Aargau
Der Kanton Aargau hat 2019 einen Aktionsplan zur Rettung der verbleibenden Widderchenarten gestartet. Zusammen mit engagierten Landwirten, Förstern, NKB-Zuständigen und der Unterstützung von Agrofutura werden in den letzten Widderchen-Bastionen die Schnittzeitpunkte optimiert, die Anzahl Traktor-Überfahrten reduziert und Wälder oder Waldränder aufgelichtet. Zudem werden die Wirtspflanzen von einigen Arten vermehrt und an geeigneten Stellen angepflanzt.
Wir sind zuversichtlich und setzen uns dafür ein, möglichst viele dieser charakteristischen und auffälligen Arten der Magerwiesen, Flachmoore und lichten Wälder für den Kanton Aargau zu erhalten.

Grosses Fünffleckwidderchen (Zygaena lonicerae) und Thymianwidderchen (Zygaena purpuralis) auf einer Nickenden Distel (Cardus nutans). Foto: André ReyAktuelle Vorkommen
• Ampfer-Grünwidderchen (Adscita statices) 1 Standort
• Skabiosen-Grünwidderchen (Jordanita notata) 1 Standort
• Krainisches Widderchen im Kanton Aargau (Zygaena carniolica) 1 Standort
• Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta) 1 Standort
• Beilfleck-Widderchen (Zygaena loti) 17 Standorte
• Hufeisenklee-Widderchen (Zygaena transalpina) 6 Standorte
• Kleines Fünffleckwidderchen (Zygaena viciae). 1 Standort
• Gewöhnliches Widderchen (Zygaena filipendulae) ungefährdet, viele Standorte, wird nicht im
Aktionsplan gefördert

Quelle: BirdLife Aargau Milan 1/2022. Bei diesem Artikel handelt es sich um einen aktualisierten Nachdruck des Artikels im Umwelt Aargau, Nr. 88.

Bilder:
Erstes Bild: Das Kleine Fünffleckwidderchen (Zygaena viciae) erreicht eine Flügelspannweite von nur 22 bis 32 Millimetern.
Zweites Bild: In der Schweiz ausgestorben: Mehrfarbiges Grünwidderchen (Jordanita chloros) .
Drittes Bild: Wie der Name verrät, ernährt sich das Ampfer-Grünwidderchen (Adscita statices) bevorzugt von den Blättern des Wiesen-Sauerampfers.
Viertes Bild: Raupe des Bergkronwicken-Widderchens (Zygaena fausta) auf seiner Futterpflanze.
Fünftes Bild: Das Bergkronwicken-Widderchen (Zygaena fausta) ist in ganz Mitteleuropa sehr selten geworden.
Sechstes Bild: Grosses Fünffleckwidderchen (Zygaena lonicerae) und Thymianwidderchen (Zygaena purpuralis) auf einer Nickenden Distel (Cardus nutans).
Fotos: André Rey