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Der Künstler Viktor Hottinger in seinem Atelier. Foto: zVg
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«Das machen, was in mir drin ist» – Begegnung mit dem Rheinfelder Kunstmaler und Musiker Viktor Hottinger

Er sei, sagt er, «freischaffender Landschaftsmaler, Aquarellist, Zeichner, Tagebüchler, Aktionist, Kunststückler, Aussteller, Illustrator, Grafiker, Bühnenbildner, Kalendermacher, Fasnachts-Maler, Koch, Velofahrer, New Orleans Jazz-Kornettist, Mensch»: Eine Begegnung mit dem Rheinfelder Kunstmaler und Musiker Viktor Hottinger.

ANDREAS FISCHER*

Vom Atelier aus hat man freie Sicht auf den Rhein. Er arbeite meist bei offenem Fenster, sagt Viktor Hottinger. Die Aussage scheint ausser dem realen auch einen symbolischen Sinn zu haben: Hottingers Blick in die Natur ist unverstellt. «Die Natur», sagt er, «ist meine Quelle, aus ihr schöpfe ich».
Aufgewachsen ist Hottinger in Zuzgen, als viertes von sechs Kindern, auf einem Bauernhof, römisch-katholisch. Bis fünfzehn war er Ministrant. Doch dann wurde die Mutter auf dem Heimweg von der Frühmesse am Sonntagmorgen vom Milchauto überfahren und tödlich verletzt. Seither, sagt Hottinger, sei der Wald seine Kirche.
Der Wald als Kathedrale
Für den Vater war der Sinneswandel des Sohnes schwierig. Man sei obrigkeitsgläubig gewesen, damals, «und in einem kleinen Dorf weiss man, wer zur Kirche geht und wer nicht. Doch ich stellte mich auf den Standpunkt: ‘Ich tue, was ich für richtig halte, soweit es den anderen nicht schadet’. Und mein eigener Ruf schadet den anderen nicht.»
Der Wald – «die mächtigen Bäume, das Rauschen in den Wipfeln» – wurde fortan zu Hottingers persönlicher Kathedrale. Dort fand er Antworten auf die Fragen, die der Tod der Mutter aufgeworfen hatte. Hottinger nahm Stifte und Pinsel mit ins Gehölz, fing an zu zeichnen, zu malen. Im Keller des Hauses von Bekannten in Zuzgen installierte er sein erstes Atelier, erhielt erste Aufträge im künstlerischen Bereich. Er kündigte – «nach neunjährigem Buchhalter-Trauma» – den sicheren Job und machte sich auf die Suche nach einer Grafikerstelle.
Dutzende Bewerbungen blieben unbeantwortet, zweimal durfte er sich vorstellen, beide Male wurde ihm empfohlen, die Kunstgewerbeschule zu besuchen. Doch eben dies wollte Hottinger nicht. Dann endlich fand er eine Stelle in der Werbeabteilung von USEGO Olten. Dort arbeitete auch der Galerist Heinz Engel, bei dem er fortan jede Vernissage besuchte. Einmal rutschte ihm der, wie Hottinger rückblickend meint, «dümmste aller möglichen Sätze» raus: «Das kann ich auch!» «Dann zeig mal, was du kannst», antwortete Engel. So kam Hottinger zur ersten Ausstellung, der viele weitere folgten. «Ich war», sagt er, «ein Spätzünder. Doch das hat auch Vorteile. Wenn jemand die Kunstgewerbeschule besucht oder ein Studium absolviert, fällt es ihm nachher schwer, seinen eigenen Weg zu finden. Ich machte einfach das, was schon lang in mir drin war.»

Käti
1974 lernte er Käti kennen, seine Weggefährtin, spätere Frau, Mutter seiner Söhne. Sie war achtzehn, viel jünger als er, in Ausbildung zur Kindergärtnerin. Es gab wenige Stellen damals, schliesslich fand sie eine in Rheinfelden. Dafür musste sie ins Städtli ziehen. Hottinger war die Gegend bekannt, «ein paar Jahre hier zu leben, ja, das konnte ich mir vorstellen», sagt er ein halbes Jahrhundert danach mit ironischem Augenzwinkern. Er machte sich selbständig, stellte acht Jahre lang an der Art Basel aus, jobbte nebenbei, sortierte Filme, reihte Zeitungen ein, arbeitete auf dem Bau «und war», wie er lachend bekennt, «neidisch auf Kätis Lohn». Kinder kamen zur Welt, Matthias 1979, Michael 1981. «Es waren», erzählt Hottinger, «materiell gesehen keine einfachen, aber insgesamt sehr schöne Jahre.»
1999 gelang ihm mit dem Projekt «Zwölf Nächte im Wald» ein grosser Wurf. Hottinger verbrachte zwölf Nächte, von abends um 20 Uhr bis morgens um 8 Uhr, auf zwölf verschiedenen Hochsitzen in der Region. Die dabei entstandenen Arbeiten zeigte er in einer viel beachteten Ausstellung in der Rheinfelder Johanniterkapelle. «Seither», sagt Hottinger mit der ihm eigenen Bescheidenheit, «geht es gut.»
Die Aussage gilt jedenfalls für den beruflichen Bereich. Privat hatte Hottinger einen weiteren grossen Abschied zu verarbeiten: Seine Frau, Käti, starb vor neun Jahren, sechzigjährig. «Es ist nicht recht, dass sie vor mir gehen muss», dachte Hottinger damals. Er sei doch zwölf Jahre älter als sie. Doch auch das lehrt der Wald: dass der Tod dazugehört. «Er ist die einzige Gewissheit, die man hat: Auch ich komme eines Tages dran. In diesem Sinn ist es eine gerechte Sache.»

«Rössli JAZZ»
Hottinger ist leidenschaftlicher Jazzer; er spielt Kornett in diversen New Orleans-Formationen. «In Zuzgen», erzählt er, «gab es genau zwei Vereine: den Turn- und den Musikverein. Im Turnen war ich eine Flasche, also heuerte ich bei der Harmonie an. Man drückte mir eine Trompete in die Hand, ich lernte ein paar Märsche und fasste die Uniform.»
In den Siebzigerjahren hörte er im Stadtcasino Basel New Orleans-Grössen wie Duke Ellington, Ella Fitzgerald und Chris Barber. Von da an wusste er: «Das ist meine Musik!» Jazz, der aus dem Bauch, aus dem Herzen kommt, nicht technisch, nicht einstudiert wie der Dixieland, «Musik, die eher schwarz ist als weiss.»
Vor zweiundzwanzig Jahren ass Viktor Hottinger mit seiner Familie im Gasthaus Rössli an der Brodlaube in Rheinfelden. Nach dem Essen verabschiedeten sich die Söhne, er und Käti sassen allein dort mit der neuen Wirtin. «Das Geschäft könnte besser laufen», sagte diese. «Wie wäre es mit Musik?», fragte Hottinger. So entstand der inzwischen Kult gewordene «Rössli JAZZ».
Hottinger, der als Selbständiger Erfahrung mit dem Initiieren von Projekten hat und mit Zahlen umgehen kann, wusste bald, wie man dem Rössli auf die Sprünge hilft: «Immer Mitte jeden Monats findet ein Jazz-Konzert statt; die Musiker, Amateure und Profis, erhalten nichts als das Essen und die Getränke, die Gäste zahlen für nichts als das Essen und die Getränke, die Wirtin bzw. der Wirt kocht und kassiert.» Die Beiz ist, obwohl der Anlass nur mit einem «simplen Traktat mit den Daten» beworben wird, immer gut gefüllt. Absagen von angefragten Musikern hat Hottinger, trotz des Gotteslohn-Honorars, in all den Jahren nur eine einzige erhalten, und er selber müsse, wie er sagt, «nur zweimal umfallen», bis er im Rössli sei.
Am Freitag, 23. Mai, um 18 Uhr wird Viktor Hottinger mit seinen «N’Awlins Six» im Rahmen der «Langen Nacht der Kirchen» in der christkatholischen Kirche St. Gallus in Kaiseraugst auftreten. Das Konzert eröffnet die «Lange Nacht der Kirchen». Weitere Informationen: www.ref-rheinfelden.ch

* Andreas Fischer ist Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Region Rheinfelden und Mitglied des Vorbereitungsteams der «Langen Nacht der Kirchen» in Kaiseraugst.

Bild: Der Künstler Viktor Hottinger in seinem Atelier. Foto: zVg