(im/nr) Am vergangenen Donnerstag fand im reformierten Kirchgemeindehaus Zuzgen ein Vortrag von Pfarrer Niklas Raggenbass statt, der von 2021 bis 2024 im Wegenstettertal wirkte. Unter dem Motto «Mitenand fürenand» reflektierte er die bewegte Geschichte der Kirchen im Tal sowie seine eigenen Erfahrungen mit gelebter ermutigender Ökumene.
Die Geschichte des Wegenstettertals ist eng mit politischen, wirtschaftlichen und religiösen Umbrüchen verknüpft. Im Mittelalter und bis 1797 stand das Tal, wie das ganze Fricktal, unter dem Einfluss der Habsburger und gehörte zu Vorderösterreich. Napoleon I. verfügte, dass das Fricktal zum neuen Kanton Aargau gehören sollte.
Eine weitere Wegmarke war, als vor wenig mehr als 150 Jahren das Erste Vatikanische Konzil beschloss, dem Papst in Lehrfragen zu Glaube und Sitte die Unfehlbarkeit zuzubilligen. In einer Zeit, in der die Meinungs- und Religionsfreiheit eine immer grössere Rolle spielten, wurde dies als nicht hinnehmbare Vereinnahmung empfunden und es führte zu Abspaltungen. Im deutschsprachigen Raum entstand die altkatholische Kirche, die in der Schweiz christkatholische Kirche genannt wird – zurück zu der ursprünglichen, alten Botschaft von Jesus Christus. Die Christkatholiken lehnen die Unfehlbarkeit des Papstes und damit den Papst ab und setzen sich für synodale Entscheidungsprozesse ein, was so viel heisst wie «Demokratie unter Mitwirkung des Heiligen Geistes».
Staatliche Anerkennung der Christkatholiken
Besonders im bis dahin mehrheitlich katholischen Fricktal, das durch Napoleon mehr Freiheiten erhielt, fand die Bewegung Anklang. Der Politiker Augustin Keller spielte im Kanton Aargau – aber auch auf Schweizer Ebene – während 50 Jahren vor allem in Religionsfragen eine zentrale Rolle. Keller war nicht nur massgeblich verantwortlich, dass 1841 alle Klöster im Kanton Aargau aufgehoben wurden, dass es zur Gleichstellung der jüdischen Gemeinden Lengnau und Endingen und ihrer Bevölkerung kam und dass der Grosse Rat des Kantons Aargau am 28. November 1871 die Trennung von Kirche und Staat beschloss. 1876 erhielt dann die Christkatholische Kirche vom Bundesrat die staatsrechtliche Anerkennung als dritte Landeskirche. So wurden die bestehenden Gebäude der römisch-katholischen Kirche auch anderen Konfessionen zugewiesen.
Nach der Abspaltung mussten im Wegenstettertal die katholischen und christkatholischen Gottesdienste in denselben Kirche gefeiert werden. Da war abzusehen, dass die Spannungen zunahmen, denn gleichzeitig ging das ja nicht. In Zuzgen kam es zu so heftigen Auseinandersetzungen, dass manche mit dem Gewehr in die Kirche kamen. Bald wurde die barocke St. Georgskirche ganz den Christkatholiken überlassen. Nur einen Steinwurf weit entfernt hat daraufhin die römisch-katholische Gemeinde 1901 den Grundstein für eine neue Kirche gelegt. In Wegenstetten war es in den ersten Jahren nach der Abspaltung noch möglich, dass römisch-katholische und christkatholische Gottesdienste im selben Gotteshaus gefeiert werden durften. Es war jedoch abzusehen, dass der Konflikt zunehmen musste, denn von Rom aus wurde verfügt, dass nur noch die Predigt in derselben Kirche gehalten werden durfte, doch nicht mehr das Abendmahl.
Als sich alle gegenseitig halten
Damals wurde auch über die grundsätzliche Bedeutung von Kirchengebäuden diskutiert: Braucht es für einen Gottesdienst eine Kirche oder soll man nicht besser Hausgottesdienste feiern? Die Christkatholiken fragten nicht den Papst, sondern stellten die Frage: Wie machte es denn Jesus? Der Konflikt zog sich bis vor Bundesgericht. Die christkatholische Kirchgemeinde wurde für den Verzicht der Mitbenützung an dieser und den beiden Kapellen in Hellikon mit 65 000 Franken entschädigt. So liess sich zusammen mit einer Landschenkung auf dem Hügel der «Chilchstiege» die heutige Christuskirche in Hellikon bauen. Es gab auch Zeiten, in denen sich alle gegenseitig halfen. Nach dem Ersten Weltkrieg als die christkatholischen und römisch-katholischen Gottesdienste als Folge der Spanischen Grippe im Wald abgehalten werden mussten und viele Tote zu beklagen waren, half man sich in den verschiedenen Notlagen, Missernten und dem Bewältigen von Flüchtlingsbewegungen. In den «Verkündbücher» der Pfarrer kann man lesen: Die Menschen zeigten Solidarität.
13 Jahre Ökumene zu dritt
Seit 13 Jahren gibt es das reformierte Zentrum in Zuzgen, was die «Ökumene zu dritt» sichtbar macht und all die Fragen der letzten 150 Jahre in sich vereint und eine Antwort darauf gibt. Sie lebt vom gleichberechtigten «Trialog», Zusammenarbeit und Hilfe bei gemeinsamen Anliegen. So wird im Wegenstettertal aktuell über einen gemeinsamen Religionsunterricht gesprochen.
Zum Abschluss würdigte Pfarrer Raggenbass die Eigenschaften der Menschen im Wegenstettertal: Fleiss, Bescheidenheit, das Unterstützen derer, denen es nicht gut geht und ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Er selbst spüre bis heute eine vertrauensvolle Verbundenheit mit den Menschen der Region und sei dankbar für diese gelebte Ökumene. Sein Fazit: «Schritt für Schritt aufeinander zugehen – das ist der Geist des Miteinanders, der im Frieden wurzelt!»